Mit dieser neuen Aufnahme ist eine außergewöhnliche Konstellation in der Interpretationsgeschichte der Werke zu erleben: Über viele Jahre hinweg haben András Schiff und Jörg Widmann die aus der allerletzten Schaffensphase des Komponisten stammenden Sonaten op. 120 immer wieder zusammen aufgeführt. Beide tief im Repertoire der deutsch-österreichischen Klassik und Romantik verwurzelt, haben sie sich über ihre Liebe zu Brahms ausgetauscht, die Partituren entschlüsselt und dabei eine gleichermaßen innige und emotional erfüllte wie eminent strukturbewusste Lesart entwickelt.
„Stücke des Rückblicks und des Abschieds“ seien diese Sonaten, so die Musiker, dennoch mischt sich zuweilen in die resignierte Stimmung eine „fast jugendliche Freude, die sich mit der Melancholie, mit dem Abschiednehmen auf wundersame Weise vereint“.
Schwerelose Einsätze wie zu Beginn der zweiten Sonate in Es-Dur, eines dieser Werke, „die nicht beginnen, sondern schon da sind“ (Schiff), zeugen von der Gestaltungskraft der beiden Musiker, die Momente von größter Innigkeit bis hin zu impulsiven Ausbrüchen mit differenzierter Tongebung und feingliedriger Phrasierung auszuleuchten wissen.
Die Brahmssche Kunst, „mit fast nichts zu komponieren“, reduziertes Material bis aufs Äußerste auszuloten, fasziniere ihn immer wieder, bekennt Widmann. So sind die Sätze mit thematischen Bezügen eng ineinander verzahnt und kontrapunktisch verdichtet; sie entfalten sich dennoch auf ganz natürliche Weise, scheinbar ohne jede Anstrengung. Der analytische Blick des Komponisten Widmann führt uns hiermit zu einer weiteren Besonderheit der vorliegenden Aufnahme.
Für ein gemeinsames Konzert bei den Salzburger Festspielen 2010, das dem Kraftfeld von Brahms’ späten Werken mit Klarinette nachspürte, hat Jörg Widmann seinem künstlerischen Partner fünf Klavier-Intermezzi geschrieben und gewidmet; sie liegen hier in Ersteinspielung vor. András Schiff interpretiert, wenn man so will, also Widmanns komponierte Interpretation des späten Brahms. Während sich der 1973 geborene Komponist von Schiffs „Klang“ am Klavier, von dessen „Musikalität“, seiner Mischung aus „Musikantentum und reflektiertem Spiel“ angeregt fühlte, wie er in einem Einführungsgespräch zu einer Live-Darbietung des hier eingespielten Programms erklärt hat, liebt der Pianist eigenem Bekunden nach die besonders „feinsinnige“ pianistische Schreibweise und die hohen lyrischen Qualitäten der Intermezzi.