CD-Präsentation: Roland Neuwirth & Florian Krumpöck


Winterreise


Für sein neues Projekt "Wiener Winterreise" mit Bösendorfer-Artist Florian Krumpöck interpretiert Roland Neuwirth Franz Schuberts "Winterreise" neu und bringt den Liederzyklus in seinem Wiener Dialekt in die heutige Zeit. Mit diesem musikalischen Projekt, das sich dem Liedschaffen Franz Schuberts widmet, gehen die beiden Musiker zum Ursprung des Kunstliedes zurück. Im Verlauf des Liederzyklus' wird der Hörer immer mehr zum Begleiter des Wanderers, der zentralen Figur der "Winterreise". Dieser zieht nach einem Liebeserlebnis aus eigener Entscheidung ohne Ziel und Hoffnung hinaus in die Winternacht

Schuberts Musik kommt aus der Stille. Roland Neuwirth besingt das Warten, die Leere, die Vergängnis. Er bewegt sich durch verlassene Rohbauten und nichtssagende Straßenzüge, von denen aus man von einem Ort zum nächsten irrt. Vielsagende Abwesenheit hinterlässt ausgetretene Zigaretten, lässt die verlorenen Gegenstände warten und unsere Gedanken in vergessenen Parkanlagen zurück. Wohin mit den Aussortierten? Wohin mit den Nichtbeachteten und Ausgestoßenen, wenn ihnen die Flucht versagt bleibt? Wohin sie ziehen, sie bleiben fremd. Unschlüssig, erstarrt starren wir auf die Grashalme zwischen den Asphaltrissen, während wir in der Warteschleife verhungern. Denn der Glücksspielautomat bringt immer nur dem Nachbarn Glück. Wir folgen dem Irrlicht, wir vermögen kaum zu rasten, gehen rückwärts an den Bahnschienen entlang. Ab und an drehen wir die Wegweiser um. Das Leben dauert fort, aber wir finden trotzdem nicht hinein. Hinterlassene Gläserspuren und geknickte Bankomatkarten zeugen von den Wracks des nächsten Morgens. Mit Insekten auf der Windschutzscheibe durchqueren wir die Pfützen, in denen längst abgetretene Zeitungsschlagzeilen dümpeln. Und während der Leiermann weiter unbeachtet seine Runden dreht, lässt die Musik von jenen Tagen träumen, an denen wir nicht unseren Atem sehen. 

 

"Lieber Franzl, bitte bring mich nicht um, aber ich musste das tun! Deine Musik ist mir heilig" flehte ich ihn an, "Von dir habe ich keinen einzigen Ton verändert!" (Roland Neuwirth)

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Es war keine leichte Arbeit. Aber eines Tages hatte ich fast alle Gedichte der Winterreise in den Wiener Dialekt übersetzt. Es fehlten nur noch jene, deren Sujets heute rettungslos veraltet sind, wie z. B. Die Post und Der Leiermann. Ich musste sie neu dichten. Überhaupt war da und dort einiges umzugestalten. Und weil mir meine Ideen ziemlich frech vorkamen, sprach ich mit IHM. Mit Franz Schubert meine ich. Dass ich ihn mit „Franzl“ anredete, schien ihn gar nicht zu stören. Ich sagte: „Lieber Franzl, bitte bring mich nicht um, aber ich muss das tun! Die Texte sind heute nicht mehr zu singen. Nur klassische Sänger trauen sich das.“ Er aber blieb stumm und sah mich nicht einmal an. „Deine Musik ist mir heilig!“ flehte ich ihn an, „Ich habe ja nur diese schwülstigen Zeilen von diesem Wilhelm Müller in unsere Zeit transferiert. Von dir habe ich keinen einzigen Ton verändert.“ Da sagte ER mit strafendem Blick: „Natürlich hast du das. Du hast meine ganze Musik verändert.“ Ich war fassungslos. „Nein!“ sagte ich, „Das würde ich mich doch niemals trauen!“ Aber er blieb stur. „Ich habe nicht deine, sondern die Texte Müllers vertont.“ sagte er. „Wenn du die Texte änderst, stimmt auch die Musik nicht mehr. Verstehst du das?“ - „Ja,“ nickte ich, am Boden zerstört, „wenn du das sagst...“ Doch ich gab nicht nach: „Dein Genie in allen Ehren, aber ich weiß ja, dass du auch ein bissl Komplexe hast. Alles muss immer die hehre Kunst sein. Und neben Beethoven wolltest du begraben werden. Aber als du dann den Tod gespürt und die Winterreise komponiert hast, warst du enttäuscht darüber, dass sie deinen Freunderln nicht gefallen hat. Nur den Lindenbaum wollten sie. Da hast du dann grantig gesagt: ́Die andern Liada wer ́n euch a no g ́falln! ́ So war ́s doch, oder?“ Doch als ich aufblickte, da war der Franzl nicht mehr da. Erst nach längerer Zeit sah ich ihn wieder. 

Ich hatte mich gerade wieder in seine Musik versenkt und hörte den sich daraus ergebenden Worten nach. Der Leiermann entpuppte sich als Immigrant. Jede Silbe passte genau zur Musik. Ich war überglücklich, denn alles stimmte. Es war stimmig! Aber dann laborierte ich am Lindenbaum. Warum nämlich gerade der mein größtes Problem war, liegt auf der Hand: Die originalen Zeilen sind derart untrennbar mit der Musik verschmolzen, dass sie unmöglich wegzudichten waren. Und da kam der Franzl. Er sagte nichts, lächelte nur verschmitzt. Ich war zornig. „Dieser Kitsch-Hit, dieser verfluchte!“ schrie ich, „Was soll ich alter Mann mit diesen pubertären Jamben? Es ist wie ́s immer ist, je größerder Kitsch, desto mehr kommt er an! Er ist sogar ein Volkslied geworden. Gib es zu: Nur deine tolle Klavierbegleitung rettet diese Schnulze! Der Text ist nichts als peinlich! Hast du keine Zeilen für heute?“ Ich kann es mir nicht anders erklären, aber der Franzl musste sich inzwischen erbarmt und mit einer ganz besonderen Muse gesprochen haben, sonst wäre mir die Zeile meines Lindenbaumes niemals eingefallen. „Du liegst übrigens falsch,“ sagte ich, „denn wenn ich mich in deine Musik vertiefe und deren wesentlichen Gehalt herausspüre, stimmt auch mein Text! Damit bleibt also deine Musik unverändert! Und daher hast du auch für mich komponiert und nicht nur für den Müller! Du hast für alle Müllers komponiert, solche nämlich, die dich lieben. Warum dann nicht für einen Neuwirth?“ Da der Franzl nichts darauf zu sagen wusste, war er wieder verschwunden. Er ließ nur eine kleine Notiz zurück, als Titel: „Wiener Winterreise“ stand auf dem Zettel. Seine Idee, denn schließlich ist er ja nach wie vor ein Wiener.


Quellen: Quinton Records